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Die nicht eingebildete Kranke Die Geschichte der Anneliese Berthold Selbsthilfegruppen / Kliniken
Diese Beiträge stammen aus dem GREENPEACE-Magazin, 6/98, Seiten 16 - 27 und werden mit freundlicher Genehmigung des Verlages und der Verfaßser hier verwendet.

Die nicht eingebildete Kranke
Wie sie jahrelang gegen den Verdacht anrannte, sie sei eine psychisch gestörte Simulantin, beschreibt MCS-Patientin Anneliese Berthold:

Das Jahr 1987 begann eigentlich gut. Ich fand Arbeit bei der Textilfabrik Kunert in Deggendorf. Zugleich aber hatte ich immer öfter unter allen möglichen Infekten zu leiden. Ab Herbst '91 kam starker Durchfall dazu und ich mußte mich sehr oft übergeben. Mein damaliger Arzt sagte immer, das komme vom Streß, der Schichtarbeit, der Psyche.... Er brauche mich gar nicht zu untersuchen, weil er bei mir sowieso nichts finde! Mein Mann solle sich einfach mehr um mich kümmern, und wir sollten uns jede Menge Kinder zulegen, dann käme ich nicht mehr auf dumme Gedanken und hätte einfach keine Zeit mehr für Krankheiten.

Außerdem unterstellte er mir, ich leide an Bulimie und würde das Erbrechen selbst auslösen (was ich nicht tat!), ich wolle dies nur nicht zugeben. Von November 1992 an stellten sich Herzrasen und Schwindelgefühle bis zum Kollaps ein. Mein Hausarzt behandelte mich wieder nur auf psychosomatische Beschwerden - unter anderem mit Schlafmitteln. Er behauptete, das sei alles nur, weil ich nicht schwanger werde. Meine Beschwerden wurden immer schlimmer, ich bekam ständig andere Medikamente, bis ich Schlafstörungen hatte, wogegen mir ein Neurologe wiederum Schlaftabletten verschrieb.

Es war eine entsetzliche Zeit. Unter Arbeitskollegen wurde gemunkelt, ich sei nur faul und wolle nicht arbeiten. Meine Familie raunzte mich an: Du mußt dich halt zusammenreißen. Verwandte fanden, ich gehöre zum Psychiater. Einer empfahl meinem Mann sogar, mich zum Teufel zu jagen. Ich war krank und mußte mich dafür auch noch rechtfertigen.

Mittlerweile war ich wirklich mit dem Nerven am Ende, weil mir niemand glaubte und hinter mir stand. Es gab oft Streit deswegen. Im Mai 1993 setzte mich der medizinische Dienst meines Arbeitgebers unter Druck zu kündigen. Die Arbeit sei zu schwer, Schichtarbeit für mich einfach zu anstrengend. Sie würden jedenfalls bei erneuter Erkrankung nicht mehr zahlen. Ich wurde richtig bedrängt und wurde nicht über meine Rechte aufgeklärt.

Andererseits war ich aber auch froh darüber, in diesen stinkenden Hallen nie mehr arbeiten zu müßsen. Ich kündigte - mit dem ärztlichen Zusatz "aus gesundheitlichen Gründen".

Noch acht Monate ging das so weiter mit Herzrasen und Synkopen, kurzen Anfällen von Bewußtlosigkeit. Zudem wurde ich auch immer öfter ohnmächtig. An einem Sonntag schließlich, an dem ich meinen Arzt nicht erreichte, fragte mich die Notärztin, was ich eigentlich an Medikamenten einnehme. Sie sagte: "Um Gottes willen, schmeißen Sie das ganze Zeug weg. Wie kann man einer so jungen Frau dies verschreiben? Und so was ist ein Kollege von mir." Während sie mich gründlich untersuchte, erzählte mein Mann ihr meine Leidensgeschichte. Sie war wirklich entsetzt und schickte mich in eine Kurklinik.

Nach 313 Krankheitstagen in den sieben Jahren Textilfabrik (plus weiteren 214 Tagen Aufenthalt in diversen Kliniken), trotz häufigerer Anfällen und schlimmerer Beschwerden und nach 13 konsultierten ärzten war ich immer noch nicht viel schlauer. Erst eine Patientin, die ich im Herbst 1996 in einer Klinik kennenlernte, brachte mich auf einen neuen Verdacht: MCS.

Ich fand Selbsthilfegruppen, und durch Betroffene erfuhr ich von meinem heutigen, in Umweltmedizin ausgebildeten Arzt, der bei mir im Mai 1998 MCS diagnostizierte. Besonders stark, fand er heraus, reagiere ich auf Lösungsmittel und Toluol (siehe Stoffsteckbrief ): Ich kann meine Bewegungen dann nicht mehr richtig koordinieren, meine Muskelkraft ist wie die eines Kindes, ich leide unter starkem Schwindelgefühl, alle Extremitäten kribbeln, hinzu kommen starke Müdigkeit und Frösteln bei gleichzeitigem Hitzegefühl des Kopfs.

In der Regel werfen mich bereits geringfügige Schadstoffexpositionen aus der Bahn und mir geht es richtig schlecht. Da hierzu Schadstoffmengen ausreichen, wie sie alltäglich und überall vorkommen können, ist es für mich in der Praxis sehr schwierig, ihnen aus dem Weg zu gehen. Erschwerend wirkt sich aus, daß mein Entgiftungßsystem nicht - oder nicht mehr - richtig funktioniert. Insbesondere Quecksilber (aus Zahnfüllungen etwa) kann die Leistungsfähigkeit dieses Systems blockieren, so daß betroffene Patienten wie ich zum Beispiel gegen Lösungsmittel weniger gut geschützt sind. Als Therapie bleibt nur ein völliger Expositions-Stopp. Aber wie kann ich es im Alltag in unserer chemisierten Welt schaffen, Parfüms, Plastikdunst oder Dämpfen aller möglichen Chemikalien zu entgehen?

Mein Leidensweg begann mit den ersten Amalgamfüllungen und mit dem Arbeitsbeginn in der Fabrik. Dort war ich ständig Dämpfen von erhitztem Kunststoffgarn und von Trichloräthylen ausgesetzt, mit dem wir die Maschinen von Kunststoffresten reinigten, was die Firma bestreitet, obwohl ich es auf den Flaschen gelesen habe. Von da an ging es gesundheitlich total bergab. 1993 nach dem Umzug ins eigene Haus kam der komplette Zusammenbruch. Wir hatten beim Baubeginn 1991 nicht auf gesunde Stoffe geachtet. Damals wußte ich ja noch nichts von MCS und Schadstoffvermeidung!

In diesen ganzen schrecklichen Jahren wurden etliche Diagnosen gestellt, die ich hier nicht aufschreibe, weil es einfach zu viel wäre - bis man 1998 MCS diagnostizierte. Ich dachte oft, daß es nicht sein kann, was mein Arzt mir sagt. Jetzt weiß ich, daß ich recht hatte und nicht alles nur Einbildung war. Ich war und bin ein fröhlicher Mensch, der gerne arbeitet, Haus und Garten pflegt, soweit es mir meine Erkrankung möglich macht. Leider bin ich heute wegen Fieberschüben und rascher Erschöpfung körperlich nicht mehr belastbar.

Aber ich kann mich immer noch an Kleinigkeiten erfreuen. Ich bin weder psychisch krank noch depreßsiv und war es auch nie. Mir geht es nur nach Kontakt mit Chemikalien schlecht. Es reicht schon, wenn jemand in der Nachbarschaft etwas verbrennt oder streicht oder weichgespülte Wäsche aufhängt. Ich weiß nicht, was noch kommt. Aber eines habe ich wenigstens hinter mir: die schlimme Zeit, in der ich nicht wußte, was mir geschieht.

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